Was ist Wald?
Einige beschreiben den Wald als eine größere und zusammenhängende Fläche von Bäumen. Die anderen wiederum als ein Stück Land mit einer Fläche von über 0,5 Hektar (50 x 50 m), auf der Bäume eine Höhe von mindestens fünf Meter im Reifealter erreichen können und ihre Baumkronen mehr als 10 % des Bodens beschatten. Natürlich gibt es für den Wald mehr als nur diese beiden Definitionen.
Im österreischischen Forstgesetz ist Wald folgendermaßen definiert:
Wald im Sinne dieses Bundesgesetzes sind mit Holzgewächsen der im Anhang angeführten Arten (forstlicher Bewuchs) bestockte Grundflächen, soweit die Bestockung mindestens eine Fläche von 1 000 m2 und eine durchschnittliche Breite von 10 m erreicht.
[ Begriffsbestimmungen § 1a.]
Gleiches gilt für die Definition eines Baumes. Laien mögen eine Banane, einen Bambus, einen Baumfarn oder eine große Palme als Bäume bezeichnen, da sie ausdauernde und große Pflanzen mit einem Stamm, Ästen und Blättern (Nadeln) darstellen. Expert*innen wie Botaniker*innen haben für den Baum aber eine strengere Definition parat: Ein Baum muss eine bestimmte Größe erreichen, Holzgewebe produzieren und das Dickenwachstum aufweisen. Letzteres wird auch als Sekundärwachstum bezeichnet und beruht auf der Aktivität des Kambiums, eines Bildungsgewebes im Spross und in den Wurzeln. Die vom Kambium gebildeten Zellen werden sowohl nach außen als auch nach innen abgegeben. Holz wird aus den nach innen abgegeben Zellen gebildet und der Bast, auch die Rinde genannt, entsteht aus den nach außen abgegebenen Zellen. Aus den gebildeten Xylem-Zellen (also Holz-Zellen) kann man das Baumalter ablesen, da sie die typischen Jahresringe bilden. Dies ist bei Bambus oder bei Palmen nicht der Fall. Deshalb bleiben sie auch schlank.
Welche Ebenen der Biodiversität finden wir im Wald?
Im Waldökosystem, das mit anderen Worten auch als Lebensgemeinschaft „Wald“ bezeichnet wird, treffen wir zwei von drei Ebenen der Diversität an. Die Diversität der Arten (Artenvielfalt) und die genetische Diversität (genetische Vielfalt). Die dritte Ebene ist die Ökosystem-Ebene. Und da der Wald selbst ein Ökosystem ist, können wir ihn den anderen Ökosystemen wie z.B. Wiesen, Bächen etc. gegenüberstellen.
Artendiversität im Wald
Fast die Hälfte der Wälder auf unserem Planeten liegt (noch) in den Tropen. Tropenwälder gehören zu den artenreichsten Ökosystemen der Erde. Tropische Regenwaldgebiete befinden sich in Amerika, Afrika, Australien und Asien. Ihre Gesamtfläche entspricht ungefähr der Größe Europas. Expert*innen gehen davon aus, dass in den Tropenwäldern 50 % bis 75 % der Pflanzen- und Tierarten der Erde beheimatet sind. Es wird auch geschätzt, dass in den Tropen über 50.000 verschiedene Baumarten wachsen. Ob das viel oder wenig ist, kann man erst beurteilen, wenn man sich die Zahlen genauer anschaut. Bisher wurden knapp zwei Millionen Arten auf der Erde beschrieben. Die Gesamtzahl aller Arten ist unter Expert*innen stark umstritten. Aktuelle Schätzungen liegen zwischen 7 und 30 Millionen Arten. Diese breite Palette von Schätzungen ist teilweise auf die Größe der Lebewesen sowie auf die Definition einer Art zurückzuführen. Da die meisten Lebewesen Mikroorganismen sind und so mit bloßem Auge nicht gesehen werden können, hängt ihre Identifizierung, Beschreibung und Bestimmung von Methoden und Technologien ab, die von Tag zu Tag immer präziser werden. Die an der häufigsten verwendeten Definition des Artbegriffs lässt auch zu wünschen übrig, da sie eine Art von der anderen nicht stark abgrenzt. Sie besagt, dass eine Art eine Gruppe von Lebewesen ist, die eine Fortpflanzungsgemeinschaft bilden und durch gemeinsame Merkmale identifiziert werden können.
Artenvielfalt in Mitteleuropa und Österreich
Vermutlich wird es einige überraschen, dass die Wälder Mitteleuropas zu den artenreichsten Ökosystemen gehören. In Österreich wachsen mehr als 5.000 verschiedene Pflanzenarten (u.a. 4.060 Gefäßpflanzen und 1.020 Moose), 8.000 Pilz- 2.000 und Flechtenarten. Bei den Tieren sind es ungefähr 45.000 Arten, die bisher beschrieben worden sind. In Österreich gibt es 65 heimische Baumarten. Die Fichte ist die häufigste Nadelbaumart und die Buche die häufigste Laubbaumart. So wie man das gesamte Spektrum an Tieren und Pflanzen zur gleichen Zeit und am gleichen Ort nicht vorfinden kann, wachsen alle Baumarten nicht gleichzeitig im Wald. Ihr Vorkommen und ihre Verbreitung im Waldökosystem hängen weitgehend vom Klima, von der Bodenbeschaffenheit, der Seehöhe und der Topografie ab. Es ist daher verständlich, dass Buchenwälder, Eichenwälder, Auenwälder, Nadelwälder, Laubwälder oder Mischwälder existieren können. Einige der Bäume, tot oder lebend, vor allem aber besonders groß und alt, sind für spezialisierte Arten des Waldes von zentraler Bedeutung. Viele der waldtypischen Arten sind abhängig von ihren Höhlen, Rissen, Spalten, Öffnungen – das sind sogenannten Kleinstlebensräumen, die auch als Mikrohabitate bezeichnet werden.
Das Ökosystem Wald zeichnet sich durch drei Hauptmerkmale aus: Es ist ein (1.) offenes, (2.) flexibles und (3.) komplexes System. Dies bedeutet, dass Lebewesen, Stoffe, und Energie hier nicht zurückgehalten werden, sondern jederzeit in das Ökosystem gelangen oder dieses verlassen können. Das Waldökosystem verändert sich ständig und passt sich den Umweltbedingungen an. Und zuletzt beeinflussen sich seine abiotischen und biotischen Komponenten gegenseitig. Das Waldökosystem befindet sich in ständiger Entwicklung oder, wie man im Fachjargon sagen würde, im Ökosystem Wald (sowie in allen Ökosystemen) findet eine Sukzession statt. Unter Sukzession versteht man die zeitliche Abfolge von Pflanzen- oder Tiergesellschaften an einem Standort. Im Wald ändert sich die Abfolge der Baumarten in drei Stufen – von Pionierbaumarten in der frühen Phase über eine Zwischenphase mit anderen Baumarten bis zu der Endphase mit Klimax-Baumarten. Bei der Sukzession des Waldes ändert sich auch die Artenvielfalt; diese ist in der Früh- und Spätsukzession am größten.
Eigenschaften des Waldökosystems
Die genetische Vielfalt (genetische Diversität)
Die genetische Vielfalt ist die Grundlage für Artenvielfalt. Sie bildet eine Absicherung für den Fortbestand einer Art. Innerhalb einer Art unterscheidet sich jedes Individuum hinsichtlich der Erbsubstanz von anderen Artgenossen. Die Individuen derselben Art in einem Gebiet bilden zusammen eine Population. Die Gesamtheit der vererbbaren Informationen (Gene) eines Individuums wird auch als Genom bezeichnet. Die genetische Variabilität (Unterschiede im Genom) einer Art oder Population ermöglicht es dieser, sich an sich ändernde Umweltbedingungen wie z.B. an die Klimaveränderung anzupassen. Es überleben nur diejenigen Varianten, die den neuen Lebensbedingungen gerecht werden. Populationen einer Art können sich im Genom stark unterscheiden. Die Unterschiede sind oft besonders groß, wenn große Entfernungen zwischen Populationen bestehen. Unter Umständen kann dies auch dazu führen, dass im Laufe der Zeit neue Arten aus Populationen hervorgehen. Das Messen der genetischen Diversität ist komplexer und aufwendiger als das Messen der Artenvielfalt, da zuerst die Unterschiede in den einzelnen Genomen sichtbar gemacht werden müssen. Lohnt es daher wirklich, die genetische Diversität zu untersuchen? Kann man durch die Untersuchung der Artendiversität in einem Wald nicht auch eine Aussage über die genetische Diversität treffen? Ja, wenn sie beide in einer Beziehung (Korrelation) zueinander stehen würden. Das scheint jedoch nicht der Fall zu sein, wie z.B. eine Studie über die Gebirgs-Flora der Alpen und Karpaten gezeigt hat.
Der Klimawandel ist eine ernsthafte Herausforderung für die Wälder. Die genetische Vielfalt stellt sicher, dass Waldbäume unter sich ändernden Umweltbedingungen überleben, sich anpassen und weiterentwickeln können. Zukünftige Bewirtschaftungsoptionen zur Anpassung der Wälder an den Klimawandel hängen stark von der Verfügbarkeit geeigneter waldgenetischer Ressourcen ab. Alle europäischen Länder sollten zusammenarbeiten, um die gesamteuropäische Strategie zur genetischen Erhaltung von Waldbäumen umzusetzen. Sie zielt darauf ab, das Evolutionspotential europäischer Waldbaumarten in einem Netzwerk dynamischer genetischer Einheiten zu erhalten. Darüber hinaus muss die Erhaltung der forstgenetischen Ressourcen auf allen Ebenen einer nachhaltigen Waldbewirtschaftung verbessert werden, um die künftige Anpassung des Waldes an den Klimawandel und die weitere Erbringung seiner Dienstleistungen sicherzustellen.
…in Zukunft
Die Entdeckungsreise und Untersuchungen auf dem Gebiet der Arten- und der genetischen Vielfalt im Ökosystem Wald schreiten voran. Einer ihrer Schwerpunkte ist die funktionale Biodiversitätsforschung. Diese Disziplin untersucht, ob die Veränderung der Diversität im Ökosystem auch zu Änderungen der Eigenschaften und Funktionen der Ökosysteme führt.
In der nächsten Vorlesung von Dr. Marcela van Loo kannst du dich zurück lehnen und einfach nur zuhören…